Ein gelungener Abend

Rommelspacher

Die Weingartener Kunstnacht hat inzwischen Tradition – es ist eine Aktionsnacht, in der Weingarten sich von seiner besten und interessantesten Seite zeigt. Ausstellungen, Ausstellungen. Nicht nur der Kunstfreund kommt auf seine Kosten, auch der Erlebnishungrige hat die Möglichkeit, von einem Angebot, für dessen volle Nutzung eine Woche nötig wäre (und es wäre eine stressige Woche) – zufriedenstellend erschlagen zu werden.

Es ist zuviel. Und das ist gut so.

Wir – das Kunstkabinett Stacheder – waren natürlich wieder dabei, wie jedes Jahr. Auch das Atelier hat inzwischen Tradition, wenn auch erst eine fünfjährige. Wir wiederholen uns nie, sonst könnten Sie ja gelangweilt werden. Aber diesmal war der Anspruch, etwas wirklich vollkommen anderes zu bieten.

Das Konzept „Mush Rooms“

Als Naturbeobachterin ist Annette Stacheder, die das Kunstkabinett betreibt, stets auf der Suche nach Anregungen. Einer Pilzwanderung verdankt sie die Inspiration zu einem Gestaltungskonzept, das die geradezu fedrige Leichtigkeit von Pilzen zelebriert: fransige Strukturen, flügelleicht an wurmstichige Borke geschmiegt, aber im harten Gegenlicht von großer Zartheit und Stabilität zugleich, wurde zur Grundstimmung einer Installation.

Aufbau / Anlage

Die erfahrene Restauratorin gestaltete die Wände ihres Kunstkabinetts zunächst grell kalkweiss. Auf dieser Grundlage brachte sie die Hüte oder Schirme ihrer künstlerisch-künstlichen Pilze an: Pilzköpfe von bis zu 70 cm Durchmesser ragten unlogisch vertikal aus der Wand. Einige hatten glatt-organische, andere fransig-fedrige, ebenfalls organische Ränder. Einige leuchteten in brandigem Orange, andere waren so weiß wie die Köpfe vertrocknender Champignons auf einer Lichtung.

In einer Raumecke: eine kleine Kolonie von seitlich herauswachsenden Pilzköpfen, ganz Baumpilz, weiß auf weiß. Hier brach sich die Perspektive im Eck: während der Betrachter die übrigen Pilze gleichsam aus der Vogelperspektive sah, wurden diese unscheinbareren Raumgestalterchen ihm aus demselben Blickwinkel präsentiert, in dem der Spaziergänger eben den Pilz am Baumstamm sieht.

Eine künstlerische Interpretation verbietet sich an dieser Stelle. Schließlich läuft die Ausstellung noch, und Annette Stacheder gehört zur Weingartener Künstlergruppe „gegenwARTen“, zu deren zentralen Anliegen es zählt, Kunst nicht während des Erlebens zu erklären.

Schließlich liest der Koch Ihnen beim Essen ja auch nicht das Rezept vor.

Die gestalterische Wirkung ist jedenfalls verblüffend: eine Wandinstallation in 3D ist ganz eindeutig ein Mittel, einen Raum geradezu beherrschend zu strukturieren.

Wie häufig im Werk von Annette Stacheder, steht das Zentrum im Zentrum: Kreise und die Leere in der Bildmitte sind Elemente, die sich in vielen Ihrer Bilder wiederfinden. Wobei sie in dieser Installation auf die Steigerung der Leere, nämlich reflektierende Metall-Elemente in der Bildmitte (bzw. Pilz-Mitte) verzichtete.

Ein ganz wesentlicher thematischer Hintergrund war dabei der inhaltliche Bezug zum Miteinander der Gegensätze: Starre und Weiche, Farbe und Nichtfarbe, Perspektivenwechsel, Formbarkeit und Brüchigkeit. Die Installation hatte ganz bewusst eine thematische Nähe zur asiatischen Kunst, in der die Leere bzw. der leere Raum zwischen Kunstwerken eine entscheidende Rolle spielt – dementsprechend stark wirkte die Spannung, die sich ganz natürlich im gestalteten Ausstellungsraum auch durch Nähe und Entfernung der Objekte ergab.

Wie bei ihren Aktionen mit den „gegenwARTen“ setzte Annette Stacheder auch bei der Kunstnacht auf Kombination mit anderen Ausdrucksformen. Der Ravensburger Cellist Bernd Winkler gab mehrere Kompositionen des koreanischen Komponisten Isang Yun zum Besten, der wirksam-interessant mit Johann Sebastian Bach kontrastiert wurde.

Insbesondere die koreanischen Kompositionen, in denen besondere Stilmittel wie das Pizzicato, das Glissando und auch die Nutzung des Cello-Körpers als Percussionsinstrument vorkamen, zogen dabei die Besucher in ihren Bann. Der Cellist setzte dabei darauf, wie seine Maler-Kollegin ungewöhnliche Stilmittel einzusetzen, um die Aufmerksamkeit zu fesseln und den Hörer nicht nur durch Gestaltung, sondern auch durch Pause und Wechsel anzusprechen.

Damit war die Brücke zum sprachlichen Inhalt des Abends geschlagen, den Timmo Strohm bestritt. Unter dem Motto „lyrische Sushi“ trug der Ravensburger Webdesigner kurze Texte vor, die konzeptionell zu dem passten, was die Besucher schon gesehen und gehört hatten: sie liefen im Kreis, lebten vom stilistischen Wechsel und von der Leere. Natürlich kam das Tao Te King vor, aber auch Zen-Geschichten, eine Schwertkampfstory und ein Märchen, das eine echte Ring-Geschichte war.

Den Zuhörern, unter denen sich auch Kinder befanden, gefiel´s.

Einen ganz entscheidenden Beitrag zum Gelingen des Abends hatte der Wasserburger Feinkost-Experte Marc Rommelspacher beigetragen. Seine Firma hatte das Catering gesponsort. Auch hier lag der Schwerpunkt auf dem Besonderen: es ging ja darum – wir erinnern uns – etwas zu bringen, was die Besucher noch nicht kannten.

Sie kennen Gruyère, Weichkäse, Salami und Sauerteigbrot. Aber bevor Sie gelangweilt abwinken: auch diese Artikel gehörten zum Konzept und waren von der Künstlerin mit Bedacht ausgewählt worden.

Greyerzer ist etwas, was Sie in jedem Kaufhaus bekommen. Was uns an diesem Abend verblüffte, war, wieviel der Qualitätsunterschied ausmacht. Das Buffet war ganz bewusst so schmucklos wie möglich gehalten – wir hatten darauf gesetzt, dass unsere Besucher sich auf den Geschmack konzentrieren sollten (und, seien wir ehrlich, diese Buffets, auf denen ein paar billige Weintrauben am Rand liegen, damit die Fruchtfliegen Landeplätze finden, sind doch furchtbar).

Es war einfach interessant, zu sehen, wie Besucher ein Stück Käse in den Mund stecken, die Augen aufreißen, uns anschaun, die Käseplatte anschaun, und dann plötzlich mit einem ganz neuen Gesichtsausdruck weiter essen.

Am häufigsten wurde uns an diesem Abend die Frage gestellt: „wo haben Sie das denn her…?“

Der Käse war immer der Einstieg.

Was auch wichtig ist: bei gutem Käse unterhielten sich die Besucher dann höchst angeregt mit uns über – Kunst. Wenn Sie jemanden kennen, der nun die Nase rümpft und erklärt, diese Käseparties vor den Bilderrahmen seien doch banal, dann geben Sie ihm einen Tritt von mir.

Denn – und das war auch das zentrale Thema eines der Zen-Märchen – nicht immer ist es richtig, auf Kunst zu starren, wenn man über Kunst redet. Manchmal ist es besser, auf eine Tasse Tee zu schauen und dabei an Kunst zu denken.

Es ist wie bei der Betrachtung eines Sterns bei Nacht: wenn Sie ihn voll fixieren, verschwindet er scheinbar. Sie müssen einen Punkt neben dem Stern ansehen; dann erscheint er wieder.

So war es auch an diesem Abend. Wir standen vor den Bildern und redeten über die wunderbare italienische Salami, eine junge, aber zarte, feste und unvergleichlich aromatische Salami, die man nicht gegessen haben kann, ohne danach nie wieder diese gefärbten Salzprügel aus dem Supermarkt ´runterzukriegen.

Und dabei sahen die Besucher von Pilz zu Pilz.

Später kauten unsere Besucher verträumt das exklusivste und edelste Sauerteigbrot, das man in Europa findet (sehr taoistisch und zum Thema passend wurde der herbe Sauerteig mit echtem Lavendel und Honig gemischt), und dabei lauschten sie aufmerksam unseren Erzählungen über die Gemeinsamkeiten moderner und antiker Kunst.

Es bestätigte sich: ohne Brot und Wein friert die Liebe ein, und die Kunst erst recht.

Selten hatte ich derart faszinierte Besucher auf einer Kunstausstellung erlebt.

Vielleicht meinen Sie noch, dass auch die edelste Salami und der großartigste Käse nichts mit unserem Grund-Thema zu tun hat.

Und genau da irren Sie sich. Wir hatten uns viel dabei gedacht: Salami und Käse werden, wenn sie nach klassischer Weise hergestellt werden, nämlich mit Pilzen behandelt. Jede ordentliche Salami wird zur Haltbarmachung mit einem Edelschimmel geschützt, der auf der Rinde sitzt; und genau das gleiche galt für den köstlichen Rivière, der mit Kulturen von Weiß- und Rotschimmel behandelt wird, und zu dessen feinem Riesling-Geschmack eben auch echter Riesling gehört.

A propos Wein.

Der stammte vom Weinhaus Betz, und auch hier kommen Sie mit ein bisschen Nachdenken wahrscheinlich drauf, dass die Hefekulturen, die uns den Alkohol schenken, eben – Pilze sind.

Bis aufs Brot, die Musik und die Lyrik hatte wirklich alles an diesem Abend in der einen oder anderen Weise mit Pilzen zu tun. Die ausgelegten Pilz-Informationen, mit denen wir das Buffet noch garniert hatten, überraschten noch so manchen Besucher: dass Penicillin der Menschheit von Pilzen geschenkt wurde, war dabei nur der exotischste Wissensbrocken.

Alles an diesem Abend war echt – alle Produkte waren Bio, alle Kunst hand-made und self-made, und wenn das Interesse der Besucher von den Sporen des Genusses angesport wurde – dann hatten die Pilze eindeutig gesiegt. Federleicht. Wie es ihre Natur ist.